Die Coronawüste

Waren Sie schon mal in der Wüste? Ich leider nur ein einziges Mal – damals hat es geregnet! Meine Erfahrung besagt also: Wüsten sind nasse und feuchte Orte! Soviel zum Thema, inwieweit man seinen Erfahrungen trauen kann…

Selbstverständlich zeichnen sich Wüsten dadurch aus, dass es dort (fast) nie regnet! Und weil es dort nicht regnet, gibt es auch vieles andere, was es sonst gibt, in der Wüste nicht: Wälder, Blumen, Tiere, Leben… Deshalb zählt für einen Menschen in der Wüste nur das nackte Überleben: In der Wüste droht der Hungertod, man kann schnell verdursten, tagsüber setzt einem die Sonne mit ihrer Hitze zu, nachts lässt einen die Kälte bibbern.

Warum aber haben dann so viele Menschen freiwillig die Wüste aufgesucht und tun es noch heute? Weil das eben auch nur die eine Seite der Medaille ist. Die Wüste ist nämlich auch ein schöner Ort. Und ein Ort der Reinigung!

Viele große Gestalten der Bibel und der Kirchengeschichte haben freiwillig für eine gewisse Zeit die Wüste aufgesucht. Warum? Was suchten und fanden sie dort? Und warum ausgerechnet in der Wüste?
Mein Antwortversuch: In der Wüste fällt alles weg, was uns sonst beschäftigt: Aktienkurse, TV-Programm oder Englisch für Fortgeschrittene an der VHS! Wir werden auf unsere radikalen Grundbedürfnisse zurückgeworfen: Essen, Schlafen, Schutz vor Kälte und natürlich Trinken. Der ganze Schnickschnack zählt da nicht: Schaff ich ein Einser-Abi oder das heutige Sudoku? Was zieh ich an und wer mäht den Rasen? Meist sind das keine schlechten Dinge, aber zum Überleben braucht man sie eben doch nicht.

In der Wüste kann ich entdecken, von was ich wirklich lebe, was ich wirklich brauche, was ich wirklich möchte. Und das ist eine große Sehnsucht in uns allen, die wir freilich – meist ziemlich erfolgreich – mit unserem ganzen Schnickschnack zukleistern. Man muss sich dann zwar nicht mit unangenehmen Einsichten rumschlagen, aber das Gefühl am Leben vorbeizuleben lässt sich eben auch nicht ganz abschütteln. Deshalb geben sich viele einen Schubs und begeben sich in die Wüste: Abraham, Mose, Johannes der Täufer, Jesus, Paulus… um mal bei den biblischen Gestalten zu bleiben.

Ach ja Corona! Seien wir ehrlich: Die Coronaauflagen nerven, aber die Einschränkungen sind für die meisten verkraftbar. Für die gebeutelten Geschäftsinhaber und Handwerker gibt es (hoffentlich) Unterstützung. Lassen Sie uns aus der Not eine Tugend machen: Corona ist auch eine Art Wüste. Wir müssen feststellen, dass unsere Leben bedrohter ist, als wir glaubten. Die Sicherheiten, die wir um uns wähnten, fielen zusammen wie ein Kartenhaus. Unsere Pläne taugten nur gar zu schnell nur noch für den Schredder. Wir könnten jetzt Klagelieder singen über das was nicht oder kaum mehr geht, wie schön es doch früher war, usw.

Wir könnten aber auch Corona als Chance begreifen und uns fragen: Was brauche ich wirklich? Wonach sehne ich mich wirklich? Wenn sich die Pandemie schon nicht wegswitchen lässt, dann sollten wir nicht nur ihre Nachteile erleiden, sondern auch ihre Vorteile nutzen! Auch als Kirche!

Ich vermisse so vieles! Zum Beispiel rappelvolle Kirchen. Gottesdienste, in denen die Leute wie Ölsardinen versammelt sind und Großer Gott wir loben dich aus voller Kehle schmettern. Aber steht und fällt damit unser Glaube? Hatte Paulus in Korinth damals auch Myriaden von frommen Seelen mit vierstimmigem Chor? Die Exegeten haben herausgefunden, dass es ein paar Dutzend meist hemdsärmlige Typen und Tussis waren, die mit dem Alltag rangen. Lesen Sie bitte dazu die beiden Briefe des Paulus an die Korinther! Die Wörter Weihrauch oder Messgewänder sucht man dort vergeblich! Und die Abstandsregeln hat man damals schon mangels Masse und Deodorant gerne eingehalten.

Machen wir uns nichts vor: Wir wissen nicht, wie wir aus dieser Krise rauskommen! Auch nicht als Kirche! Eine erste Tendenz könnte sein: Der Schnickschnack fällt jetzt ab. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder wir stellen fest, dass unser ganzer Glaube nur aus Schnickschnack, Lametta und frommen Dekor besteht – dann wird dieser Glaube jetzt völlig verschwinden. Friede seiner Asche! Oder wir entdecken unter der Asche das Feuer: die Person des Jesus Christus. Er lebte ein Leben, das auch heute noch überzeugt – auch Menschen, die keiner Kirche angehören! Er hat an seinen Werten auch dann noch festgehalten, als es unbequem und schmerzlich wurde. Ihn hat Gott rehabilitiert, von den Toten auferweckt und damit eine Tür sichtbar gemacht und aufgestoßen, von der wir vorher gar nichts wussten, allenfalls mutig davon träumen konnten.

Viele Menschen der letzten 2000 Jahre, und einige sogar heute, finden diesen neu entdeckten Jesus so interessant, dass sie gar nicht mehr aus der Wüste rauswollen. Sie möchten nicht, dass irgendwelcher Schnickschnack die Sicht auf diesen Christus wieder verdeckt und wählen z. B. ein Leben im Kloster. Oder sie richten sich eine kleine Gebetsecke, ein Minikloster, zuhause ein, wo sie Tag für Tag den Mönch oder die Nonne in sich entdecken. Und sei es nur für ein paar Minuten am Beginn oder Ende des Tages.

Corona nervt, ganz klar, keine Frage! Aber der fiese Virus bringt auch Chancen mit sich. Und die sollten wir nutzen. Es besteht nämlich die begründete Annahme die Mitte des Lebens neu zu entdecken!

P. Manfred Hösl SJ