Religion und Mystik bei Ernst Tugendhat

P. Sebastian Maly vom Canisiuskolleg hat bereits zum zweiten Mal im Rahmen der philosophischen Predigten (jeden 1. Sonntagabend im Monat) das Wort ergriffen. Dieses Mal stellte er einige Leitgedanken des Philosophen Ernst Tugendhat vor. Neben der Sprachphilosophie, der Ethik war dies v.a. die Mystik.

Ernst Tugendhat (geboren am 8. März1930 in Brünn) ist ein deutscher Philosoph und ehemaliger Professor an der Freien Universität Berlin. In seinen ersten Arbeiten zeigte er sich vor allem durch Martin Heidegger und Edmund Husserl beeinflusst. Später wurde Tugendhat zu einem der wichtigsten Vertreter der analytischen Philosophie in Deutschland – so beginnt der Wikipedia-Artikel über den Philosophen, der Thema bei der philosophischen Predigt von Sebastian Maly SJ im November war.

Der Philosoph hat sich neben ethischen Fragen auch näher mit der Mystik beschäftigt, die dann auch P. Malys Thema war: „Ernst Tugendhat über die anthropologischen Wurzeln der Mystik“. Der Mensch ist nach E. Tugendhat ego-zentrisch. Durch sein Sprachvermögen unterscheidet er sich von den Tieren. Der Mensch ist ein Ich-sagen-Könner. Was uns nach Ernst Tugendhat auszeichnet ist, so P. Maly, dass wir Menschen „zurücktreten“ können, d.h. wir müssen nicht unsere Instinkte unmittelbar ausleben. Wir können von unseren eigenen Interessen zugunsten anderer Menschen absehen. Wir können große Fragen stellen, die unseren unmittelbaren Bedürfnishorizont überschreiten. Etwa die Fragen Imanuel Kants: Was kann ich wissen? Oder: Was darf ich hoffen? Und so nähert Ernst Tugendhat zum Thema Religion und Mystik.

Tugendhat unterscheidet beide. Religion ist nach ihm zu sehr ein menschliches Konstrukt, ein Gebilde unserer Wünsche, aber auch ein System von Geboten und Vorschriften – der Philosoph hat hier eine wohl etwas einseitige Sicht von Religion, wie auch P. Maly später anmerkte.

Bei Mystik geht es dagegen nach Tugendhat mehr um ein sich Einfinden, spüren, verweilen, wie Tugendhat es eher im Mahayana-Buddhismus als im Christentum findet. Allerdings mit einer wichtigen Korrektur: Nach ihm kann es in der Mystik nicht um das Auslöschen des eigenen Ich, das Aufgehen im großen Ganzen gehen. Tugendhat proklamiert dagegen eine Liebesmystik, die den anderen im Blick hat: Der andere muss dazukommen, wenn mein Ich sein Glück finden soll.

Drei Dinge können wir von Tugendhat lernen, so P. Maly abschließend und zusammenfassend:

  1. Der Mensch und Christ kann „zurücktreten“ – darin besteht seine Würde und nicht seine Schwäche.
  2. Die Religion des Christentums braucht die Mystik als Korrektiv, um nicht in Dogmatismus zu erstarren.
  3. Der Mensch bleibt, solange er in dieser Welt lebt unruhig. Die ewige Ruhe kommt erst nach dem Tod. Bis dahin gilt Augustinus berühmtes Wort: Unruhig ist unser Herz bis es ruht in dir.

Zum Predigtnachgespräch kamen etwa 20 Personen, die z.T. Ernst Tugendhat noch selber an der Uni gehört hatten. Mehrere Teilnehmer(innen) der Runde hoben auf den Mystikbegriff ab. Auch viele Christen fänden heute in Praktiken wie Yoga mehr Erfüllung als in christlichen Kontexten, so eine Frau. Dem wurden aber auch große und ehrwürdige christliche Mystiktraditionen gegenübergestellt, man denke nur an die christliche Musik, Kunst oder die Liturgie.